Nadelspiele


Wenn man im Duden unter ‚Kink’ nachschaut, dann steht dort geschrieben, dass es sich um „Seemannssprache und norddeutsch für ‚Fehler im Tau‘“ handelt. Das ist ganz wunderbar, denn es hat so rein gar nichts mit dem modernen Wort ‚Kink‘ oder ‚Kinky‘ zu tun, das etwas sexuell eher Unübliches beschreibt (also scheinbar alles, was über die Missionarsstellung hinausgeht). Und genau darum geht es hier in diesem Text: Wenn man mich vor einem Jahr gefragt hätte, ob ich es mir vorstellen könne, jemandem Nadeln in die Haut zu piksen, damit dieser Lust empfindet, hätte ich ihm wahrscheinlich eher den Vogel gezeigt.

Es ist jetzt fast ein ganzes Jahr her, als mir Dilara erzählt hatte, dass sie auf Nadeln steht. Ich konnte mir zunächst nicht viel darunter vorstellen, außer die Frage zu stellen: „Äh, wie jetzt? Nadeln? In der Haut? Freiwillig? Und das soll schön sein?“

Nun gut, das war auch allgemein noch die Zeit, in der ich mit dem Wort BDSM eher wenig anfangen konnte.

Erst nachdem sie mir aufgeregt erzählt hatte, dass sie bald eine Nadelsession mit dem Nadelmann hätte und dass sie sich sehr darauf freue, begann ich Fragen zu stellen und mich allgemein darüber zu erkundigen. Meine Neugier war erwacht. Und je mehr ich mich damit beschäftigt hatte, desto spannender fand ich das Thema und desto neugieriger wurde ich, es einmal selbst auszuprobieren.

Ich schrieb damals mit dem Nadelmann und fragte ihn, was er machte und was für Gefühle dabei ausgelöst würden. Erwähnte ich schon, dass ich furchtbar neugierig bin?

Nach der Session bekam ich viele Bilder von Dilara geschickt, wie sie im Halbschatten über einem Stuhl gelehnt saß und Federn wie Flügel aus ihrem Rücken schauten. Bilder, die erotischer kaum sein konnten.

Die Zeit verging, ich fing an, mit Seilen zu üben (ein weiterer Kink von Dilara und wie sich herausstellen sollte, auch von mir) und wartete auf den Moment, an dem ich die Sache mit den Nadeln selbst einmal würde austesten können.

Der Moment wurde greifbarer, als wir gemeinsam mit dem Nadelmann und seiner wundervollen Sub in München einen Workshop besuchten, bei dem es um das Annehmen von Schmerzen und die Umwandlung in Lust ging. Wir sollten Klammern setzen und das Gefühl in uns aufnehmen. Was löste es bei uns aus? Wie fühlten wir uns dabei. Ich sah, wie neben mir Dilara einige Klammern an sich angesetzt hatte und mir kam die Idee, diese an ihrem Rücken anzusetzen. Ich sagte es ihr mit einem Glitzern in den Augen.

„Klammern sind doof“, sagte sie mir.

„Ach so“, murmelte ich enttäuscht.

„Nadeln sind viel schöner.“

Mein Herz (und auch meine Libido) machten einen Satz. „Du möchtest von mir Nadeln gesetzt bekommen?“

„Ja, warum denn nicht?“

Innerlich vor Freude hüpfend und in die Hände klatschend, sagte ich: „Ich dachte, du würdest das nicht mit mir machen wollen?!“

„Und ich dachte, du wolltest das nicht mit mir machen?!“

Dachte sind keene Lichter, sagte mein Opa immer gern. Ein klassischer Fall von guter Kommunikation, dachte ich so bei mir und musste lachen.

Nach dem Workshop, schnappte ich mir den Nadelmann und quetschte ihn noch einmal aus (was muss ich — neben guter Desinfektion — beachten? Wie setze ich die Nadeln an? Wo setze ich sie an? Muss ich etwas beachten, wenn ich sie später wieder herausziehe?) Er erklärte mir sehr geduldig, worauf es ankommt und hatte – wie es der Zufall so wollte -, eine ganze Wagenladung dabei und gab mir ein paar Nadeln zusammen mit genug Desinfektionsmittel ab.

Nun bin ich einfach ich und komm nur selten aus meiner Haut heraus und daher kann ich so etwas nicht bei jemand anderem machen, ohne es einmal selbst an mir ausprobiert zu haben. Ich wollte einfach wissen, ob ich eine Nadel unter die Haut stechen konnte. Wie würde es sich anfühlen? Würde sofort Blut herausquellen? Wie schmerzhaft ist es? Ich bin mir natürlich bewusst, dass Schmerzen von Menschen unterschiedlich aufgenommen werden. Ich bin mir auch bewusst, dass, nur weil es mir nicht so weh tut, es bei anderen intensiver sein kann. Oder umgekehrt.

Aber nur wenn ich mögliche Reaktionen von mir kenne, würde ich entsprechend reagieren können, wenn ich die Nadeln schließlich bei Dilara setzen würde. Ich wusste, ich muss konzentriert bleiben und durfte nicht zusammenzucken, wenn Dilara eine Reaktion zeigen würde.

„Ich würde da gern etwas an mir ausprobieren und möchte, dass du dabei bist“, sagte ich eines Abends zu Dilara, wohl wissend, dass ich sie damit neugierig machen würde.

„Was denn? Was denn?“ kam auch gleich die aufgeregte Nachfrage.

Ich grinste geheimnisvoll. Oder verlegen. Oder dümmlich. Aber geheimnisvoll klingt einfach besser. „Ich werde mir Nadeln setzen.“

„Ich bin gleich da!“ antwortete sie mir und kam auch sofort zu mir. Mit neugierig glänzenden Augen (und völlig nackt unter ihrem roten Bademantel — ein Anblick, der mich ein wenig unruhig machte) setzte sie sich zu mir ans Bett und sah, dass ich mir bereits die erste Nadel an den Innenschenkel gesetzt hatte. „Ohhhh? Du hast ja schon angefangen?“

Natürlich hatte ich die allererste Nadel bereits gesetzt. Ich musste doch halbwegs bereit sein für sie. Die Nadel ging ganz leicht durch die ausgesuchte Hautfalte. Und Blut war keines zu sehen. Ich musste nicht mal zucken. Und der Schmerz war leicht auszuhalten.

Vor ihren Augen desinfizierte ich die zweite Stelle an meinem Oberschenkel, nahm die Nadel aus der Umverpackung und setzte sie an. Mit ganz wenig Kraftaufwand ging sie durch die Haut. Ich atmete tief ein und aus und dann trat die Nadel am anderen Ende der Falte wieder heraus. Dilara beobachtete mich intensiv dabei, hielt mich, streichelte mich. Und dann war es vorbei.

Ich atmete weiter, fühlte gedanklich zu den beiden Stellen hin, stellte fest, dass der Schmerz fast nicht zu spüren war, merkte aber, dass ich einen Fremdkörper in mir hatte, etwas das eigentlich nicht dort hingehörte, sich aber wunderbar anfühlte und sich dort auch wohl fühlte. Und dass ich mich wohl fühlte.

„Darf ich die Nadeln wieder herausziehen?“ fragte mich Dilara.

„Gern“, antwortete ich. Und mit ruhigen Händen griff sie nach einer Nadel und zog sie langsam aus meinem Bein heraus. „Atme!“ befahl sie mir. „Atme!“

Und so zog sie die beiden Nadeln wieder aus mir heraus. Es war ein wunderschönes Gefühl. Aber ich wusste, diese Art von Spiel ist für mich nichts, das ich empfangen wollte. Aber würde ich es geben können? Würde ich dabei Lust empfinden können?

Dilara sah mich mit ihren großen bittenden Augen an. Dann zog sie ihren flauschigen Bademantel aus und fragte mich: „Möchtest du mir eine Nadel setzen?“

Tschakka! machte mein innerer Snoopy und tanzte ausführlich seinen Happydance. „Gern. Wenn du das möchtest?“

Als Antwort legte sie sich auf den Rücken und reichte mir ihren linken Arm.

Da saß ich nun, war innerlich ob dieses Vertrauensbeweises von ihr gerührt und dachte mir: Nun denn! Probieren wir es aus. Mehr als dass sie schreiend davon laufen wird, kann ja nicht schief gehen. Immerhin hatte sie zwei gesunde Arme. Und wenn der eine abfiel, hätte sie immer noch einen zweiten.

Ich suchte eine Stelle an ihrem Arm, an der ich die Haut etwas zusammenkneifen konnte, um die erste Nadel zu setzen. Das erwies sich bei Dilara allerdings als schwierig, da sie über ein sehr straffes Bindegewebe verfügt und gleichzeitig so herrlich muskulös ist. Doch schließlich wurde ich fündig. Ich kniff die Haut mehrmals zusammen, um ein Gefühl dafür zu bekommen und streichelte sie mit der anderen Hand.

Anschließend nahm ich ein Desinfektionstuch aus der praktischen Vorratsbox, strich mehrmals über die Stelle und legte es zur Seite. Ich ließ ihren Arm derweil nicht los, zeigte der mit geschlossenen Augen daliegenden Frau damit immer, dass ich da war, gab ihr zu verstehen, dass ich ganz und gar auf sie konzentriert bin.

Dann nahm ich die Nadel aus der sterilen Umverpackung heraus, knisterte etwas lauter als nötig damit, kniff wieder in ihre Hautfalte und setzte die Nadel an. „Tief einatmen!“ befahl ich leise und dann übte ich Druck aus.

Die Nadel ging durch die Haut, Dilara stöhnte auf, sah mich kurz an, schloß wieder die Augen und genoss den Schmerz und das, was es bei ihr anrichtete.

Als die Nadel gesetzt war, legte ich die linke Hand auf ihre Schulter und atmete gedanklich mit ihr ein und aus. Ein und aus. Ich streichelte ihren Arm mit der rechten Hand, atmete weiter mit ihr. Sie öffnete ihre Augen und sah mich verträumt lächelnd an.

Dieser eine Blick von ihr strahlte Ruhe aus, Vertrauen, tiefstes, unerschütterliches Vertrauen und Hingabe. An mich. Die Welt könnte untergehen, aber sie würde mir vertrauen. Es war, als wenn sich um uns herum eine Blase der Stille gelegt hätte, nichts drang von außen zu uns hinein. Es zählte der Moment, das Hier, das Jetzt. Sie und ich. Es zählte meine Hand auf ihrer Schulter, die sanft drückte. Es zählte ihr Lächeln, ihr Atem, mein Atem. Der Moment.

So blieben wir einen Augenblick still, bis ihr Blick klarer wurde und ihr Kopf sich zum Nachtkästchen drehte, auf dem weitere Nadeln bereit standen. Sie wollte weiter machen.

Ich nahm eine weitere Nadel aus der Umverpackung heraus, desinfizierte die nächste Stelle auf ihrer Haut, wartete, setzte die Nadel an und hörte mich ein weiteres Mal sagen: „Atme!“

Dilara sog langsam die Luft ein, stiess sie wieder aus und ich setzte die Nadel an, übte Druck aus und stach sie durch ihre Haut. Wieder stöhnte Dilara auf. Wieder legte ich meine linke Hand auf ihre Schulter, wieder diese Kuppel um uns, diese Nähe, diese Stille, dieser Halt, diese Geborgenheit und dieser Blick.

Eine letzte Nadel setzte ich ihr noch an. Drei Nadeln. Und so blieb sie einen Moment liegen. Wir genossen uns, ich genoss ihre Hingabe, ihr Vertrauen, ihre Nähe. Sie genoss dieses meditative Fallenlassen, dieses Verbleiben in dem Augenblick, dieses Sein, dieses Ausblenden von Sorgen, von Alltag.

Und dann zog ich ihr langsam die Nadeln wieder heraus. Ich hörte sie atmen, ich hörte mich atmen, wir waren im Einklang mit uns. Und ich spürte mein Verlangen, den Tropfen Blutes abzulecken.

Sie reckte sich zu mir, ich spürte nun auch ihr Verlangen, mich zu küssen. Und so gab ich ihr das, wonach es ihr gelüstete: Einen langen und intensiven Blutkuss.

Anschließend wickelte ich sie in die Decke ein und kuschelte mich ganz nahe an sie an, fühlte ihren muskulösen Körper, ihre Wärme, ihre Lebendigkeit und dachte über diesen meinen neu erwachten Kink nach.

Hell, yeah! War das intensiv…

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