Dies ist also Kapitel #2 meiner Artikelserie über Sex in Beziehungen. Diesmal möchte ich definieren, was ICH als Zuwenig ansehe und wie es sich in einer Beziehung anfühlt, wenn sich einer der Partner in einer Phase mit weniger Lust befinden und sich zurückzieht.
Es gibt Paare, die vögeln auch nach einem Jahr des Zusammenseins wenn es geht täglich – vielleicht sogar mehr als einmal. Und es gibt Paare, die haben vielleicht ein- oder zweimal im Monat Sex. Und dann gibt es natürlich auch jene Paare, die gar nicht oder nur eine Handvoll Male im Jahr vögeln.
„Also mir wäre das zu viel, jeden Tag zu vögeln.“ sagte mir mal jemand. „Man kommt doch zu nichts anderem mehr.“
„Spätestens nach zwei Tagen ohne Orgasmus bin ich unausstehlich“, erzählte mir jemand anderes.
Aus den beiden Aussagen oben (wohlgemerkt, beide von Frauen), kann man sehr gut ablesen, dass Lust und Sex bei jedem anders ausgeprägt ist. Für eine zeitlang kann ich mir das wundervoll vorstellen, jeden Tag lustvoll zu vögeln. Ich würde meine Partnerin dann einfach in meinem Koffer verstecken, wenn ich auf Dienstreisen bin und im Hotel dann rauslassen, wo wir erst mal übereinander herfallen würden. „Stressbewältigung moderner Handlungsreisender“ nenne ich es dann und würde daraus vielleicht sogar ein Geschäft machen.
Für den einen ist das tägliche Vögeln zuviel. Und für den anderen ist das genau richtig. Wieder andere finden es schön, wenn man ein oder zwei mal im Jahr miteinander vögelt, weil es etwas besonderes bleiben soll. — Ich nenne das manchmal gerne natürliche Verhütung (wobei auch das nicht 100%ig sicher ist, wie ich selbst erfahren durfte, daher bitte nicht ausprobieren).
Wie auch immer man es sieht. Wichtig ist, dass es beide gleich oder wenigstens ähnlich sehen. Sonst entsteht ein Ungleichgewicht. Der eine wünscht sich mehr, der andere wünscht sich weniger. Dadurch entsteht Stress und Frust auf beiden Seiten, der in dem einen den Wunsch nach mehr Nähe entstehen lässt. Und in dem anderen den Wunsch nach mehr Distanz aufkommen lässt. Was natürlich doof ist, denn es beginnt ein Teufelskreis.
Für mich persönlich gibt es kein „Zuviel“ an Sex. Für mich gibt es nur ein „GibMir5MinutenDannGehtEsWieder-NaGut10Minuten“. Aber es gibt ganz eindeutig ein „Zuwenig“ davon. Und es gibt ein „Vielzuwenig“. Und ein „Puhhh! Dasgehtgarnicht“. Oder anders formuliert und um einfach mal Zahlen in den Raum zu werfen: Zu wissen, dass es Sex eventuell jeden Sonntag gibt, fällt für mich in die Kategorie „Zuwenig“ (und vor allem zu wenig spontan). „Vielzuwenig“ ist für mich, wenn man zweimal im Monat Sex hat. Und alles andere gehört für mich in die Kategorie „Dankeaberneindanke“.
Um aber etwas abstrakter zu bleiben: Es geht zum Beispiel gar nicht, wenn ein Partner auf Dauer viel Lust hat und der andere wenig bis gar keine. Wenn auf eine „Vielzuwenig“-Phase irgendwann eine „Wow“-Phase kommt oder schon mal kam, dann kann man eine „Zuwenig“- oder „Vielzuwenig“- oder auch „Dasgehtgarnicht“-Phase einfacher abschütteln, denn man weiss ja, dass es vielleicht nur eine Phase ist. Aber je länger eine „Vielzuwenig“-Phase dauert, desto frustrierender kann es für das Paar werden. Und desto wahrscheinlicher ist, dass aus der „Vielzuwenig“-Phase eine „Nööhö! Dasgehtnichtsoweiter“-Phase wird.
„Du gibst mir das Gefühl, für dich ist eine Beziehung nur dann etwas wert, wenn man jeden Tag dreimal Sex hat“ wurde mir mal während eines Streits gesagt, weil ich mir zum wiederholten Male während einer ziemlich lang anhaltenden „Vielzuwenig“-Phase mehr Nähe in der Beziehung gewünscht hatte.
Davon abgesehen, dass dieser Satz ein heftiger Vorwurf ist, geht es mir in einer Beziehung nicht nur um die Befriedigung meiner kurzfristigen Triebe. Wenn es so wäre, würde ich es mir einfach jeden Tag drei mal selbst machen oder mir unverbindliche Affären suchen, mit denen ich mein Sexleben ausleben kann und alles wäre fein. Ich bin aber der Meinung, dass man als Paar durchaus auch ein gemeinsames Sexleben haben und es auch gemeinsam ausleben sollte. Wenn dieses „Ausleben“ eben darin besteht, dass man alle 14 Tage mal für 15 Minuten vögelt und sich danach wieder schnell dem Alltag widmet, und beide damit zufrieden sind, ist das doch schön. — Meines ist es jedenfalls nicht. Ganz und gar nicht.
Wenn ich in einer Beziehung lebe und mein Partner auf einmal keine oder nur noch wenig Lust auf mich hat (aus welchen Gründen auch immer — eine körperliche oder psychische Krankheit ausgeschlossen), dann muss ich mich fragen, ob ich damit zurecht komme. Wenn es sich tatsächlich nur um eine durch Stress induzierte Phase handelt und mit mir als Partner über die Gründe geredet wird, kann ich das nachvollziehen und bin durchaus mehr als bereit, in dieser Zeit eben auf ein Sexleben ganz oder teilweise zu verzichten. Denn es geht mir ja auch um meinen Partner, hinter dem ich stehe, den ich liebe. Ich unterstütze meinen Partner in dieser Zeit so gut ich es kann, ich versuche ihm das Leben zu erleichtern, biete ihm eine gewisse Sicherheit und Geborgenheit, sofern er das möchte und lege mich abends zu ihm auf die Couch, lese ihm vor, koche Tee, massiere ihn und tue auch sonst vieles, das ihm hilft, über den Tag zu kommen. Natürlich in der Hoffnung, das man diese Phase als Paar durchsteht und dass man hinterher da wieder anknüpfen kann, wo man mal aufgehört hatte, bevor der Stress begann.
Denn eine Beziehung ohne ein gewisses Sexleben kann ich mir nicht vorstellen. Ich muss nicht jeden Tag drei mal vögeln (auch wenn das zur Abwechslung eine zeitlang tatsächlich schön wäre). Aber ich hätte durchaus gern ab und zu mal das Gefühl, dass ich wirklich sexuell befriedigt bin, dass ich wirklich sexuell begehrt werde. Dazu gehört, dass man gemeinsam seine Lust entdeckt, sich Zeit füreinander nimmt, spielt, vögelt, ausprobiert und darüber redet, was man noch gemeinsam ausprobieren möchte und es dann auch einfach mal tut. Die Lust ist so etwas wunderschönes, sie muss einfach ausgiebig erforscht werden.
Mir persönlich reicht in solchen „Vielzuwenig“-Phasen, dass ich von meinem Partner das Gefühl bekomme, begehrt zu werden, indem er sich nicht völlig zurück zieht, indem er Dinge macht, von denen er weiß, dass ich sie schön finde, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht klassisch mit Sex zu tun haben. Als Beispiel sei hier die gemeinsame Dusche genannt, die mir unglaublich gut tut. Unter der Dusche zu stehen, vom rauschenden Wasser gestreichelt zu werden, seinen Partner ganz nahe bei sich zu spüren, ihn zu halten, zu knutschen, zu streicheln, gestreichelt zu werden. All das gibt mir so unglaublich viel intime Nähe, dass ich auf anschliessendes vögeln sogar verzichten könnte.
Es geht in allen Phasen des Lebens meiner Meinung immer auch darum, dass man sie sich so schön wie möglich macht. Kann der Partner aus welchen Gründen auch immer gerade nicht vögeln, dann sucht man sich andere Dinge, die man gemeinsam erleben kann, die beiden gut tun. Das Leben ist zu schön und zu kurz, um es einfach zu vergeuden. Du musst vielleicht manchmal nur um eine Ecke denken. Und etwas vom „normalen Weg“ abweichen, etwas für dich normalerweise Untypisches oder Ungewohntes einfach mal zulassen, einfach mal machen. Und dann wirst du sehen, dass du glücklich(er) wirst, dass das Paar zufriedener wird, dass das Leben leichter wird.
Wenn ich weiß, dass mein Partner gerade viel Lust auf mich hat, dann kann ich mich einfach zu ihm legen, ich könnte mich ausziehen, und ihn streicheln. Ich könnte mir Zeit für ihn und seine Bedürfnisse nehmen. Ich könnte ihn streicheln, ihn küssen, ihm das Gefühl geben, dass er in meinen Augen wertvoll ist, dass er in meinen Augen das begehrenswerteste Geschöpf auf Muttererden ist. Auch wenn ich ihn dann anschließend nicht vögele, sondern vielleicht anderweitig befriedige oder ihm zuschaue, wenn er es sich selbst macht und ihm dabei behilflich bin. Hier heisst es reden, reden, reden. Was möchte mein Partner in einem solchen Augenblick? Möchte er, dass ich ihn dabei streichele, dass ich ihn dabei küsse, dass ich einfach nur meine Hand auf seinen Körper lege, damit er mich dabei spüren kann, möchte er, dass ich ihm eine erotische Geschichte vorlese oder erzähle? Redet in solchen Situationen miteinander. Aber zieht euch auf keinen Fall zurück. Gebt eurem Partner in solch einer Situation nicht das Gefühl, dass euch seine Lust zu viel ist. Dass ihr euch gar vor ihm oder seiner Lust ekelt. Gerade in Zeiten, in denen Lust und Erotik zu kurz kommen, ist es absolut wichtig, dass man offen bleibt, dass man miteinander reden kann, ohne dass sich der eine oder der andere mit Vorwürfen konfrontiert sieht.
Oft ist es so, dass in einer „VielZuWenig“-Phase alles erotische zu kurz kommt. Man kuschelt vielleicht und liest sich vor, man trinkt gemeinsam Kaffee oder Tee, schläft gemeinsam ein, wacht gemeinsam auf, aber selbst das innige Knutschen weicht einem trockenen Bussi. Man nimmt sich in die Arme und hält sich, aber man erforscht sich nicht lustvoll. Man zieht sich nicht oder selten gegenseitig aus. Es geht nicht um die Anzahl der nicht geschenkten Orgasmen, es geht um alles das, was lustvoll im Alltag sein sollte, es geht um Alltagserotik.
Und ich möchte niemals (niemals-niemals-nie) um intime Nähe betteln müssen. Jemand, mit dem ich über das Thema geredet hatte, sagte mir mal, dass ihr Freund sehr poly sei. Dass sie oft Dreier miteinander hätten. Doch noch bevor ich krächzend „wow“ sagen konnte, relativierte sie es mit dem Satz, dass sie zugucken und Fotos machen dürfe, während er mit der anderen die heißesten Spiele spielt. Und sie dabei leer ausgehen würde. Für mich hat das nichts mit poly zu tun. Eher mit Narzissmus. Aber ok. Sie lebt in jener Beziehung. Nicht ich.
Das für mich Schlimme an einer „Vielzuwenig“-Phase ist, dass man Fantasien kaum mehr ausleben kann. Man hat schlicht die nötige Zeit und Gelegenheit dazu nicht. Wenn man ein oder zwei mal im Monat Sex hat, ist man manchmal schon froh, überhaupt mal wieder intime Momente haben zu dürfen. Wenn man dann mit einer Fantasie kommt, die man gern endlich mal ausprobieren möchte, kann es sein, dass dem Partner, der gerade eh wenig Lust hat, auch noch dieses bisschen Lust vergeht. Und man dann wieder auf den nächsten Moment, auf den nächsten Monat, warten muss, bis es mal wieder klappt. Das ist frustrierend und kann irgendwann dazu führen, dass man abstumpft, sich zurückzieht. Dass man Versprechungen seines Partners („Heute Abend vernasch ich dich!“) nicht mehr ernst nehmen kann, weil diese Versprechungen schon viel zu häufig mit einer Enttäuschung und einem Hormonstau endeten.
Für mich persönlich sind „Vielzuwenig“-Phasen tatsächlich äußerst schwierige Zeiten einer Beziehung. Ich bin ein sexueller Mensch, manch einer würde mich vielleicht auch als Lustmolch bezeichnen, ich liebe und lebe die Lust und die Leidenschaft und ich bin jemand, der das sehr gern mit seinem Partner auslebt. Wenn ich meinen Partner aus der Dusche kommen sehe, oder ihn neben mir spüre, ihn beobachte, wie er völlig alltägliche Dinge macht, sei es Kaffee trinken, Zeitung lesen, schreiben, reden oder mit anderen flirten… all das weckt die Lust in mir. Und ich muss mich zurückhalten, um ihn nicht zu küssen, ihm nicht auf den Hintern zu hauen, ihn nicht gegen die Wand zu drücken, ihm nicht die Kleidung vom Leib zu reissen, ihn nicht an mich heranzuziehen und leidenschaftlich zu knutschen. Je länger solche Phasen dauern, desto schwieriger wird es für mich, desto mehr muss ich mein Tier, meine Lust bändigen, desto weniger möchte ich mitbekommen, desto abgestumpfter werde ich. Und desto mehr verliere ich mich selbst.
Wohlgemerkt, es geht nicht um eine Woche, einen Monat, ein Quartal mit viel zu wenig Lust, es geht um längere Zeiträume, in denen ich nicht ich selbst sein darf, sein kann, um meinen Partner nicht noch mehr zu stressen.
Was auch immer ein „Zuwenig“ für den einzelnen bedeutet. Es kann immer vorkommen, dass einer der Partner für eine gewisse Zeit keine oder wenig Lust hat. Wichtig ist es meiner Meinung nach, dass man gemeinsam darüber offen reden kann. Ohne Vorwürfe zu machen und ohne Vorwürfe zu bekommen. Und wichtig ist, dass man diese Zeit als Paar überstehen kann.