Polyamorie: Die Schlacht mit den Dämonen

Wieder am Anfang, die Sonne brennt.
Wieder wie damals, nur das letzte Hemd.
Nichts ist geblieben, alles verbraucht.
Alles versoffen, alles verraucht
Sogar die echten Freunde gehen,
keiner will dich wieder sehn.

Unten ist unten tiefer geht’s nicht mehr. (Wieder Am Anfang, Hans Hartz)

Seit jenem Wochenende wusste ich: Polyamorie ist scheisse. Polyamorie ist das Weihwasser für den Vampir. Polyamorie ist das Messer, das die existierenden Wunden in Deiner Seele fein säuberlich freilegt. Polyamorie ist der salzige Finger, der anschließend auf jede alte und jetzt offengelegte, blutende Wunde tippt und höhnisch grinsend fragt: „Tut das da weh?“

„Jaaaa“, schrie ich dann der Stimme heiser vom Qualm, der sich über meinen freigelegten Wunden ausbreitet, hinterher, während sich das Salz in die Verletzungen brannte und ich mich unter Schmerzen wand.

Alte, längst besiegt geglaubte Dämonen, wurden wieder aufmüpfig, brachen aus ihren Verliesen aus, labten sich am Blut der Wunde, spuckten es mir mit ihrem Speichel vermischt ins Gesicht und verlachten mich.

Sie hatte drei Nächte mit ihrem Dom, ihrem Rigger verbracht. Drei lange Nächte. Und vor allem zwei ganze lange Tage.

Während der ersten Nacht versuchte ich noch, all das von mir fern zu halten. Es funktionierte recht gut, waren doch meine Verteidigungsmauern, die ich während der Woche zuvor eilig hochgezogen hatte, stark genug. Aber ich spürte den Ansturm der Horden bereits. Ich hörte das Kratzen ihrer Krallen an der Wand, das Pochen ihrer Fäuste, das Rammen der Belagerungsmaschinen, das Krachen der Felsen in meine schützende Burg. Ich spürte die Erschütterungen, ich spürte ihre Anwesenheit.

Und ich stand mit sorgenvoller Miene auf einem erhöhten Ausblick in meiner verrammelten Burg, sah über die finsteren Gestalten hinweg, hörte den Sturm kommen, fühlte ihre dunkle, unheilvolle, Magie.

Doch die Verteidigung hielt stand.

Der zweite Tag war ein normaler Tag, wir unterhielten uns viel, es ging ihr nicht gut, ich tröstete sie. Ich gab ihr Mut und Hoffnung. All dies machte auch mir in meinem Inneren Mut und Hoffnung. Doch je weiter der Tag voranschritt, desto unruhiger wurde ich. Ich begann die Nacht zu fürchten. Die Ruhe vor dem Sturm. Ich wollte schreien, dass es aufhörte. Ich wollte meine Verzweiflung hinaus brüllen, ich fühlte mich klein, ich fühlte mich schwach. Ich war kalt und wurde kälter. Die Mauern so hoch, der Kokon so dicht, dass mich nichts erreichte. Die Leere um mich. Die Tiefe unter mir. Die Schwärze um mich herum. Und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und wagte etwas, das mir sonst immer so schwer fiel, das ich sonst ungern zugab, etwas, das mich viel Kraft und Überwindung kostete, weil es meinem Ideal widersprach, weil es dem widersprach, was ich mir selbst geschworen hatte, weil es etwas war, das ich sonst nur ganz selten in meinem Leben erfahren und deshalb auch nie eingefordert hatte: Ich bat sie zaghaft um Hilfe. Ich gab zu, dass es mich schmerzte.

Auch wenn sie dieser Hilferuf zu spät erreicht hatte, als dass sie noch viel hätte tun können, tat sie doch genau das eine, was mir später helfen sollte, meinen Kampf zu gewinnen.

Sie sprach mir Mut zu. Sie sagte: „Ich liebe Dich“. Sie erzählte mir von dem, was wir noch gemeinsam erleben wollten. Sie erzählte mir, von unserem bevorstehenden Wochenende und wie sehr sie sich darauf freute. Sie erzählte mir, wie stark ich sei, wie großherzig und dass sie noch nie zuvor einen Mann getroffen hatte, der so gutherzig, so offenherzig, so romantisch, so liebevoll, so wundervoll, so klug, so sexy sei. Und immer wieder „Ich liebe Dich“.

Doch dann stehst du da und du lachst mich an.
Und du sagst he du da und ich denk eh man,
bin ich im Himmel, hab ich endlich bezahlt ?
Bin ich gestorben, bin ich schon kalt ?
Und dann nimmst du meine Hand
und du raubst mir den Verstand

Und dann ist es so wie fliegen, über die Wolken und noch höher.
Oben ist oben, höher geht’s nicht mehr. (Wieder am Anfang, Hans Hartz)

Hoffnung keimte auf, dass ich diese Nacht überstehen würde. Es nagte kurz das schlechte Gewissen an mir, dass ich sie in meinen Kampf hineingezogen hatte, dass ich meine Probleme mit ihr geteilt hatte, dass ich ihr eventuell den Abend versaut hätte. Ich wollte mich einen Egoisten schimpfen.

Aber der Hoffnungsschimmer blieb hartnäckig wie die aufgehende Sonne am östlichen Horizont an einem klaren Sommermorgen.

Mit diesem frisch gefassten Mut, mit dieser Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, mit dem Wissen um einen gemeinsamen Lebensabschnitt mit dieser so fantastischen, wundervollen, leidenschaftlichen und umwerfenden Frau stellte ich mich den Horden.

Ich ging zur Mauer. Ich ging zum Tor, wo die Dämonen draußen unerbittlich eine Schwachstelle suchten, ich ging dahin, wo ich wusste, dass es am meisten weh tun würde und atmete tief durch. Ich fasste mir ein Herz und ließ sie hinein.

Wütend überrannten sie mich, sie waren überall um mich herum. Sie brüllten, sie schrieen mich an, sie sabberten, sie geiferten, sie lachten mich aus. Sie verspotteten mich. Aber sie griffen nicht an. Sie waren überrascht von meiner Reaktion, sie einfach einzulassen.

Mit dem Bild von ihr vor Augen, wie sie mich strahlend anlächelte und Hüften schwingend am Bahnhof zum Gleis vorging, nahm ich mein Schwert in beide Hände und griff die Dämonen an. Zuerst zaghaft, wie gelähmt, doch immer stärker werdend, mähte ich mich durch die Dämonen.

„Wer bist du?“ schrie ich jedem entgegen, bevor ich mich seiner annahm.

„Ich bin die Enttäuschung aus der Kindheit“ geiferte er mir sabbernd entgegen. Und ich schlug ihm den Kopf ab.

„Ich bin die zerstörte Hoffnung“ und ich durchbohrte ihn mit meinem Schwert.

„Ich bin die Einsamkeit. Ich bin der nicht gespendete Trost. Ich bin die Leere. Ich bin die Kälte. Ich bin der Halt den du brauchtest. Ich bin die Liebe, die du nicht hattest. Ich bin der Neid auf andere, die all dies im Überfluss hatten und es nicht zu würdigen wussten“ und ich schlug sie nieder. Jeden einzelnen.

Andere wiederum zog ich auf meine Seite: „Ich bin die Verantwortung, die Du immer für andere hattest. Ich bin die Liebe in Deinem Herzen, die du für andere empfandest und empfindest. Ich bin die Hoffnung. Ich bin die Zärtlichkeit, die du geben willst. Ich bin die Geilheit, die du so lange Zeit unterdrückt hattest. Ich bin die Lust. Ich bin das Begehren. Ich bin das angekettete Tier in dir.“

Ich nahm jeden einzelnen in mir auf, dankbar, das sie noch da waren (wenn auch klein und noch etwas schwächlich).

Und schließlich gewann ich diesen Kampf. Ich war wund zwar, aber nicht geschlagen. Ich war getroffen, aber nicht gefallen. Ich stand zitternd, aber hoch erhobenen Hauptes stolz auf dem Schlachtfeld, die Wolken verzogen sich, das Licht siegte über die Dunkelheit. Ich hörte die ersten Vögel zaghaft zwitschern, ich lächelte, denn ich hatte gewonnen.

Mit letzter Kraft schickte ich ihr noch ein paar Gedanken hinterher:

Flieg, mein Vögelchen! Flieg! Genieße den Flug, genieße den Wind, der über Deine Federn streicht. Genieße die Wärme, die Dir Auftrieb gibt. Genieße die Weite um Dich herum. Genieße die Freiheit. Und wisse, dass ich jederzeit da bin, um Dich wieder aufzufangen, um Dir Halt zu geben. Um Dir Dein Rastplatz, Dein Fels in der Brandung, Dein Heimathafen zu sein. Hier bist Du geborgen, denn meine Arme sind stark, meine Brust breit, meine Hände groß und warm.

Seit jenem Wochenende weiss ich, dass Polyamorie heilsam sein kann, dass Polyamorie Kräfte in dir weckt, an die man nicht mal zu denken wagte, wenn Du den richtigen Partner dazu hast. Der einfühlsam die richtigen Worte zur richtigen Zeit sagt.

Ich liebe Dich, mein Vögelchen! Von ganzem Herzen.

Ich für meinen Teil muss gerade an jene Dämonen denken, die ich wieder zu mir gelassen habe, die ich befreien konnte von ihren Ketten. Ich werde sie aufpäppeln. Ich werde sie hegen und pflegen. Und dann werde ich mit ihnen in Zwiesprache gehen. Ich werde sie ganz freilassen. Ich werde sie auf dich hetzen, sie über dich kommen lassen. Sie werden Dich willenlos machen, wehrlos. Sie werden dich mit ihrem Charme und ihrer Kraft einwickeln.

Darf ich sie Dir vorstellen? Die Lust. Die Geilheit. Und die Begierde.

Das Tier leckt sich voller Vorfreude genussvoll über die Lippen. Und wirft dir einen jener Blicke zu, die Dich erschauern lassen.

Aber deren Abenteuer werden in anderen Geschichten erzählt.

3 Kommentare zu „Polyamorie: Die Schlacht mit den Dämonen

Hinterlasse einen Kommentar